Rückkaufswerte von Lebensversicherungen

Versicherungsnehmer, die in der Vergangenheit aus ihren kapitalbildenden oder fondsgebundenen Lebens- und Rentenversicherungen ausgestiegen sind, mussten vor allem bei erst wenige Jahre gelaufenen Verträgen die Erfahrung machen, dass bei einer vorzeitigen Kündigung oder Beitragsfreistellung von den gezahlten Beiträgen nichts oder nur ein geringer Teil ausgezahlt bzw. als beitragsfreie Versicherungssumme weitergeführt wurde.

Der Grund dafür: In der Anfangsphase der Verträge wurden die Zahlungen der Kunden vor allem zur Deckung der Abschlusskosten – und damit zur Finanzierung der Vermittlerprovision – verwendet. Zur Legitimation dieser Verrechnungspraxis verwiesen die Versicherer auf die Versicherungsbedingungen, die entsprechende Informationen zur Auszahlung bei Vertragskündigung (Rückkaufswert), zur Beitragsfreistellung und zu den Abschlusskosten enthielten.

Wie und was hat der BGH entschieden?

In seinen Urteilen vom 09.05.2001 (Az: IV ZR 121/00 und IV ZR 138/99) hat der Bundesgerichtshof (BGH) jedoch entschieden, dass diese bei den meisten Versicherern weitgehend identischen Klauseln unwirksam seien. Die Begründung: Die Klauseln verstießen gegen das Transparenzgebot des § 9 AGB-Gesetz. Sie seien nicht so verständlich formuliert, dass die Kunden aus den Versicherungsbedingungen die bei einer vorzeitigen Vertragsbeendigung entstehenden wirtschaftlichen Nachteile ablesen könnten.

In der Folge der BGH-Urteile versuchten die Versicherer die unwirksamen Bedingungen einfach durch neue Klauseln zu ersetzen. Sie versandten mit Zustimmung eines unabhängigen Treuhänders lediglich Informationsschreiben an die Versicherungsnehmer (Treuhänderverfahren gemäß § 172 Abs. 2 VVG alte Fassung). Inhaltlich blieb jedoch alles beim Alten. Von den Beiträgen der Versicherungsnehmer sollten unverändert in den ersten Jahren die Abschlusskosten gezahlt werden und erst dann sollte eine Kapitalbildung erfolgen.

Gegen diese Praxis wurden wiederum Klageverfahren geführt, in denen der BGH wie folgt entschied. In seinen Urteilen vom 12.10.2005 (Az.: IV ZR 162/03, IV ZR 177/03 und IV ZR 245/03) entschied das Gericht, dass Versicherungsunternehmen zwar grundsätzlich bei allen Arten der Lebensversicherungen das gesetzlich festgelegte Recht haben, ohne Zustimmung der Versicherungsnehmer unwirksame Bestimmungen in den Versicherungsbedingungen mit Zustimmung eines unabhängigen Treuhänders durch wirksame Regelungen zu ersetzen.

Gleichzeitig kritisierte das Gericht aber auch, dass im konkreten Fall in Folge der BGH-Urteile aus dem Jahre 2001 die unwirksamen Klauseln einfach durch inhaltsgleiche Vertragsbedingungen ersetzt wurden. Damit blieben die eigentlich unwirksamen Klauseln für den Versicherungsnehmer weiterhin verbindlich und der Verstoß gegen das gesetzliche Transparenzgebot für die Anbieter letztlich ohne Folgen. Dies erachtete der BGH als nicht zulässig.

Die von den Versicherern beabsichtigte Ersetzung der Klauseln ist somit gescheitert. Der Senat des BGH entschied nun im Wege der richterlichen ergänzenden Vertragsauslegung, ob und auf welche Art die einmaligen Abschlusskosten mit den Beiträgen zu verrechnen sind. Hierfür gibt der BGH den Versicherern eine Berechnungsmethode vor, nach der das Unternehmen einen Mindestbetrag als Rückkaufswert bzw. beitragsfreie Versicherungssumme ermitteln muss. Konkret fordert der Senat, dass bei einer vorzeitigen Beendigung der Beitragszahlung zumindest die Hälfte des mit den Rechnungsgrundlagen der Prämienkalkulation berechneten ungezillmerten Deckungskapitals als beitragsfreie Versicherungssumme oder als Rückkaufswert erhalten bleiben muss. Bereits erworbene Ansprüche aus einer vereinbarten Überschussbeteiligung werden dadurch nicht erhöht.

Bei fondsgebundenen Lebensversicherungen muss nach BGH Az: IV ZR 321/05 vom 26.09.2007 dementsprechend die Hälfte des ungezillmerten Fondsguthabens (in §§ 8 Abs. 1 Satz 4; 12 Abs. 3 Satz 3 als Deckungskapital bezeichnet) vorhanden sein.

Im Klartext heißt das, dass von der insgesamt gezahlten Beitragssumme zunächst die Kosten für den Versicherungsschutz sowie die Verwaltungskosten abzuziehen sind. Mindestens die Hälfte des verbleibenden Restbetrags bzw. des Fondsguthabens ist dann vom Versicherer als Rückkaufswert bzw. beitragsfreie Versicherungssumme auszuweisen. Die Zinsberechnung für das Kapital, soweit eine solche erfolgt, bleibt davon allerdings unbeeinflusst.

Die genannten Urteile beziehen sich auf zwischen Mitte 1994 und Ende 2001 geschlossene Verträgen.

In den BGH-Urteilen aus dem Jahr 2012 gegen den Lebensversicherer Deutscher Ring (Az.: IV ZR 201/10), Generali (Az.: IV ZR 202/10), Ergo (Az.: IV ZR 198/10 sowie gegen SignalIduna (Az.: IV ZR 200/10); allesamt geführt von der Verbraucherzentrale Hamburg, stellte das Gericht nunmehr fest, dass Kunden dieser Versicherer, die zwischen 2002 und 2007 eine Lebens- oder Rentenversicherung – abgeschlossen und wieder gekündigt haben, unangemessen benachteiligt worden sind. Aus diesem Grunde ist die Klausel, nach der die Abschlusskosten in den ersten Vertragsjahren mit dem Beitrag verrechnet wurden, unwirksam. Dies gilt auch für fondsgebundene Lebens- und Rentenversicherungsverträge.

Des weiteren wurde in einem Verfahren gegen die Allianz ein Urteil des OLG Stuttgart (Az.: 2 U 138/10 vom 18.08.2011) rechtskräftig, nachdem der Versicherer die eingelegte Beschwerde beim BGH zurück genommen hatte (Az.: IV ZR 175/11 vom 12.12.2012).

Auch Klauseln, die nicht hinreichend zwischen dem Rückkaufswert und einem Stornoabzug differenzieren, sind unwirksam, ebenso die Regelung des Versicherers in der Kapitalversicherung, der aufgeschobenen und der fonsgebundenen Rentenversicherung, nach der Beträge unter 10 Euro nicht erstattet werden.

Mit zwei weiteren Urteilen des BGH aus dem Jahre 2013 (Az.: IV ZR 17/13 und IV ZR 114/13) wurde schließlich entschieden, welche Rechtsfolgen sich aus der “materiellen Unwirksamkeit” der Klauseln aus der Tarifgeneration 2002 bis 2007 ergeben. Danach beträgt der Mindestrückkaufswert bei vorzeitiger Vertragsbeendigung – ebenso wie für die Tarifgeneration Mitte 1994 bis Ende 2001 – ungefähr die Hälfte der Einzahlungen “die Hälfte des mit den Rechnungsgrundlagen der Prämienkalkulation berechneten ungezillmerten Deckungskapitals”).

Zuletzt haben das Landgericht Stuttgart in einem Verfahren der Verbraucherzentrale Hamburg gegen die Stuttgarter Lebensversicherung AG (Urteil vom 19.11.2013. Az.: 11 O 47/13) und in einem weiteren Verfahren vor dem Landgericht Köln gegen die Zurich Deutscher Herold Lebensversicherung (Urteil vom 27.11.2013, Az.: 26 O 149/13) entsprechend den BGH-Entscheidungen die Klauseln zur Kündigung, Beitragsfreistellung und zum Stornoabzug gekippt.

Weitere Verfahren der Verbraucherzentrale Hamburg gegen die Versicherer Axa, HDI/Gerling (Aspecta), VGH Provinzial, BHW, R+V. DBV, Skandia, Nürnberger, AachenMünchener und Victoria laufen derzeit noch, da die Versicherungsunternehmen weiterhin die Rechtsprechung des BGH nicht umsetzen.

Welche Verträge sind betroffen und welche nicht?

Aufgrund der nahezu wortgleichen Bedingungen in den Versicherungsverträgen sind zunächst alle Kapital bildenden Lebens- und Rentenversicherungen betroffen, die seit dem 29.07.1994 (ggf. seit dem 01.01.1995) bis etwa Herbst 2001 (der genaue Zeitpunkt ist davon abhängig, wann die einzelnen Versicherer jeweils ihre Bedingungen angepasst haben) abgeschlossen wurden und die entweder bereits vorzeitig gekündigt bzw. beitragsfrei gestellt wurden oder bei denen dies in Zukunft noch geschehen wird.

Am 26.09.2007 hat der BGH (Az: IV ZR 321/05) entschieden, dass auch eine fondsgebundene Rentenversicherung von der Rechtsprechung vom 12.10.2005 betroffen ist. Somit fallen auch fondsgebundene Lebens- und Rentenversicherungsverträge unter diese Rechtsprechung.

Die Urteile des BGH aus den Jahren 2012 und 2013 betreffen Verträge, die zwischen 2002 und 2007 beim Deutschen Ring abgeschlossen und wieder gekündigt worden sind. Diese Rechtsprechung gilt zwar nur für Kunden der vorgenannten Versicherer. Aber alle Untergerichte werden sich an dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung orientieren.

Wurde oder wird ein Versicherungsvertrag bis zum regulären Ablauftermin erfüllt, haben die BGH-Urteile keine Relevanz, da sie sich lediglich auf die nachteiligen Folgen einer vorzeitigen Vertragsbeendigung beziehen

Vor dem 29.07.1994 abgeschlossene Verträge sind ebenfalls nicht betroffen. Seinerzeit bestand noch eine Pflicht zur Genehmigung der Vertragsbedingungen durch die Aufsichtsbehörde. Gegenüber dem Kunden genügte ein Verweis in den Lebensversicherungsbedingungen auf den aufsichtsbehördlich genehmigten Geschäftsplan, um die Bedingungen rechtskräftig werden zu lassen.

Für Neuverträge, d.h. der Abschluss des Vertrages erfolgte ab 01.01.2008, gilt das neue Versicherungsvertragsgesetz. Dort sind entsprechende rechtliche Regelungen enthalten. Dies führte auch das BGH-Urteil vom 25.07.2012 ausdrücklich aus. Nach der Neuregelung sind die Abschlusskosten gleichmäßig auf die ersten fünf Vertragsjahre zu verteilen. Dies führt zu einem leicht höheren Auszahlungsbetrag als auf der Grundlage der genannten BGH-Entscheidungen für die Verträge bis 2007.

Zwar sind die Urteile des BGH zeitlich nicht begrenzt. In der Regel wird aber der Versicherer seine Versicherungsbedingungen ab dem Jahr 2008 an die gesetzliche Regelung angeglichen haben. Lediglich die vom BGH für unwirksam erachteten Klauseln zum Stornoabzug können sich auch in Neuverträgen befinden. Dies muss im Einzelfall nachgeprüft werden.

Welche Folgen ergeben sich für Verträge, die gekündigt bzw. beitragsfrei gestellt wurden oder werden?

 

Das durch den BGH vorgegebene Berechnungsverfahren bedeutet im Ergebnis, dass die Rückkaufswerte bzw. beitragsfreien Versicherungssummen zu keiner Zeit auf Null fallen dürfen.

Vor allem bei Verträgen, die bei Vertragsbeendigung erst eine kurze Laufzeit von etwa bis zu drei oder vier Jahren aufwiesen oder aufweisen, können die Versicherten höhere Rückzahlungsbeträge oder eine Erhöhung der beitragsfreien Versicherungssumme fordern. Bei schon länger laufenden Verträgen wird dagegen das angesparte Deckungskapital vielfach den durch den BGH vorgegebenen Mindestwert schon überschritten haben, so dass keine Nachzahlung oder Summenerhöhung zu erwarten ist. In diesem Fall kann dann unter Umständen nur noch ein einbehaltener Stornoabzug zurückverlangt werden.

Wie weit können Ansprüche rückwirkend geltend gemacht werden?

Es stellt sich die Frage, inwieweit bestehende Ansprüche bereits verjährt sein könnten. Nach den Verjährungsregeln des Bürgerlichen Gesetzbuches (§§ 195 ff. BGB) gilt für Ansprüche, die am 01.01.2008 noch nicht verjährt waren, eine dreijährige Verjährungsfrist. Dies bedeutet für gekündigte Lebens- und Rentenversicherungsverträge der Verbraucher:

  • Wer 2010 oder früher seinen Vertrag gekündigt und abgerechnet hat, muss damit rechnen, dass sich der Versicherer auf die Verjährung der Ansprüche beruft. Ansprüche durchzusetzen ist weitgehend aussichtslos.
  • Wer 2011 seinen Vertrag gekündigt und abgerechnet hat, muss bis Ende 2014 etwas unternehmen, das die Verjährung unterbricht. Ansonsten sind die möglicherweise bestehenden Ansprüche verjährt.

Die Verjährung wird unterbrochen bzw. gehemmt, wenn

    • der Versicherer schriftlich auf die Einrede der Verjährung verzichtet (dies wird nur in seltenen Fällen erfolgreich sein) oder
    • eine Aufforderung an den Versicherer (per Einschreiben!) zur Nachregulierung ergeht. Die Verjährung wird in diesem Fall bis zu einer Entscheidung des Versicherers gestoppt oder
    • es muss die Klage oder ein Mahnbescheid eingereicht worden sein oder
    • der Fall liegt zur Entscheidung beim Versicherungsombudsmann; bei diesem Verfahren wird die Verjährung gehemmt und nicht unterbrochen. Hier kann man aber gerade zum Jahresende Zeit gewinnen.
      Handlungsbedarf besteht dagegen bei allen im Jahre 2009 gekündigten und auch abgerechneten Versicherungsverträgen. Hier würde zum Ende diesen Jahres die Verjährung der Ansprüche eintreten. Verbraucher mit solchen Verträgen sollten sich umgehend mit dem Versicherer in Verbindung setzen und diesen schriftlich (per Einschreiben) zu einer Neuberechnung auffordern. Bis zur Entscheidung des Versicherers wird die Verjährung gestoppt. Eine weitere Möglichkeit wäre, vom Versicherer den Verzicht auf die Einrede der Verjährung zu verlangen. Ist das Unternehmen dazu nicht bereit, bleibt noch die kostenlose Beschwerde beim Ombudsmann des Gesamtverbandes der Versicherungswirtschaft (Versicherungsombudsmann e. V. Postfach 080632, 10006 Berlin, E-Mail: beschwerde@versicherungsombudsmann.de).
      Hierdurch wird die Verjährung zunächst gehemmt. Bei Einleitung eines Klageverfahrens kann keine Verjährung eintreten. Besteht eine Rechtsschutzversicherung mit Vertragsrechtsschutz, sollte vorab beim Versicherer eine Deckungszusage für die Klage eingeholt werden.

      Wie sollten Sie vorgehen?

      Bevor Sie sich an Ihren Versicherer wenden, sollten Sie grundsätzlich prüfen, ob Ihr Vertrag von der BGH-Entscheidung betroffen ist.

      Die entscheidenden Merkmale nochmals zur Erinnerung:

      • bei dem Vertrag muss es sich um eine kapitalbildende oder fondsgebundene Lebens- oder Rentenversicherung handeln
      • der Vertrag muss in der Zeit vom 29.07.1994 (ggf. seit 1.01.1995) bis Ende 2001/2002 bis 2007 abgeschlossen worden sein
      • der Vertrag muss beitragsfrei gestellt oder gekündigt worden sein.

Verbraucher sollten mit dem anliegenden Musterbrief ihre Ansprüche anmelden.

Gerade in den Fällen, in denen der Abschluss und die Kündigung in dem Zeitrahmen 2002 bis 2007 erfolgten, muss mit einer längeren Abwicklungsdauer gerechnet werden.

Unseren Musterbrief können Sie als Vorlage für Ihr Anschreiben an das Versicherungsunternehmen verwenden. Nach Abschluss der Verhandlungen können Sie sich entweder an den Versicherungsombudsmann oder an die Verbraucherzentrale Hamburg wenden, um die Berechnungen des Versicherers prüfen zu lassen. Zum Teil bieten auch Versicherungsberater eine Nachberechnung an. Für nähere Informationen wenden Sie sich an den Bundesverband der Versicherungsberater.

Quelle:VZ Brandenburg